Fehler vs. Erfahrungskultur


Ein Vorschlag von Marco Stipek für eine positive Lernkultur in der IT

“Ich kenne keine Fehler. Ich kenne Menschen. Potentiale.” Fehler sind der Treibstoff der Innovation, Menschen sind ihr Antrieb. Uns interessiert auch eure Perspektive: Lasst uns Erfahrungen austauschen bei unserem Online-Meetup: “Fehlerkultur” gescheitert: Und jetzt? am Freitag 30. Juli ab 15:00 Uhr.

“Ich kenne keine Fehler. Ich kenne Menschen. Potentiale.” Das resultierte aus unserem Gespräch zur menschgemachten Innovation (Austausch von Kerstin Hartmann, Johannes Ceh und mir hier nochmal anhören). Um das nochmal anders zu formulieren: Fehler sind der Treibstoff der Innovation, Menschen sind ihr Antrieb, deswegen müssen wir unsere Perspektive dahingehend anpassen. Wir wissen, dass das hart ist, denn das bedeutet eine Änderung der eigenen Haltung, keine “einfache” Änderung der Methode.

Inhalt:

  • Fehler in der IT und der Mensch
  • merke: komplex - Fehler - Potenzial
  • Behandle Menschen als Menschen und Du wirst von ihnen bekommen, was Du brauchst.
  • Technik ist nur Mittel zum Zweck.
  • Arbeitsteilung nach Ford und eine falsch verstandene “Fehlerkultur”
  • Ich hasse das Wort “Fehlerkultur”.
  • 10.000 Fehler haben zur Glühbirne geführt.
  • Das Crew Ressource Management aus der Fliegerei für die IT implementieren
  • In den meisten Unternehmen wäre das ein Grund zur Kündigung, bei uns ist es Anlass, genau hinzuschauen.
  • Ein Fehler ist die Möglichkeit zu lernen. Wenn es häufiger vorkommt, den Fehler als systemisch anzunehmen, statt die Einzelschuld vorauszusetzen.
  • Denn ein Fehler ist nicht nur eine Information oder Warnung, sondern ein zentrales Element von Innovation.
  • All in all: Mein Vorschlag für eine positive Erfahrungskultur
  • Einladung: Online-Meetup am Fr. 30. Juli ab 15:00

Fehler in der IT und der Mensch

Fehler begegnen uns in der IT tagtäglich. Selbst vom besten Programmierer oder der besten Programmiererin geschrieben, finden sich in 5.000 Zeilen Code mindestens 2 Fehler – oft unerkannt. Warum? Weil heute Software immer komplexer ist, macht das auch die Fehlersuche aufwändig. Doch das Wort “Fehler” versuche ich zu vermeiden, denn es wirft verschiedene Dinge in einen Topf:

  • “Funktional nicht erwartetes Verhalten”: Da ist etwas passiert, das nicht der Erwartung entspricht.

  • “Echter” Fehler: Probleme treten auf, weil zwei Systeme nicht mehr synchron laufen.

  • “Menschlicher” Fehler: Etwa Schreib-/Tippfehler im Code

[Anm.d.Red.: Im Podcast “Our Job to be Done” zählt Marco das alles einfach auf, ohne zu bewerten, ob es ein “echter” Fehler ist oder nicht … und sagte hier einfach z.B. “ein System stürzt ab”. Das fand ich schön, weil: es auf diese typische “Bug oder Feature”-Diskussion, die man mit Kunden oft hat, nicht einsteigt. Weil: Es ist oft schwer zu sagen, ob es ein Bug ist oder nicht (also ein “echter” Fehler). Manchmal wurden Dinge in der Vergangenheit extra eingebaut, die keiner mehr erwartet zu einem späteren Zeitpunkt und dann geht diese Diskussion los. Die ist eigentlich nur Finger Pointing und für die Lösung sinnlos. Die liebsten Kunden sind mir jene, die sagen: ok, muss halt gemacht werden :) Und man sieht die Bugs dann eher als Zeichen, dass etwas schief geht und man daran sehen kann, wo das passierte (technisch, menschlich, kommunikativ, etc.) und man etwas ändern muss.]

Albert Einstein in Schwarz-Weiß, roter Text: Errare humanum est ... "... perseverare autem diabolicum." Sozusagen eine viel ältere Version von Einsteins "Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind."

Treten bei uns solche Stolpersteine auf, machen wir im Folgenden drei Schritte:

  1. Wie ist der Fehler zustande gekommen?

  2. Wie können wir das in Zukunft verhindern?

  3. Welches Potenzial steckt darin?

merke: komplex - Fehler - Potenzial

Auch in der IT geht es um menschliche Zusammenarbeit. Meine Führungs Maxime lautet daher:

Behandle Menschen als Menschen und Du wirst von ihnen bekommen, was Du brauchst.

Als Engineer und Techniker war meine Perspektive auf Dinge, die nicht funktionieren, früher eine andere: “Fehler” waren für mich Dinge, die Menschen nicht so gemacht haben, wie “man soll”. Das ist eine Sackgasse und führt zu Unzufriedenheit.

Heute sehe ich das so: Was wir tun, wird produziert von Menschen für Menschen, die es am Ende konsumieren. Technik ist nur Mittel zum Zweck, dazwischen sitzen viele Menschen. Probleme, die hierbei entstehen, sind Kommunikationsprobleme.

Technik ist nur Mittel zum Zweck.

Arbeitsteilung nach Ford und eine falsch verstandene “Fehlerkultur”

“Ich wollte eigentlich zwei Hände einstellen, habe dann aber doch ein Gehirn bekommen” – so wird Ford zitiert

Ford hat damit großen Fortschritt erreicht, dass er sagt, dass potenziell alle Mitarbeiter:innen im Unternehmen einen Beitrag leisten können. Er führte eine Arbeitsteilung zwischen Hand- und Kopfarbeit ein. Das Management ist da als Ansprechpartner:in und soll bei Arbeiter:innen auch Fragen zur Erhebung stellen. Dennoch gibt es nach Fords Modell keine partizipative Mitgestaltung, sondern eine strikte Trennung von Hand und Kopf, das sind etwa Arbeitsanweisungen, die einfach ausgeführt werden können wie z.B. Checklisten. Was eine valide Antwort auf simple und komplizierte Aufgabenstellungen (sh. Cynefin-Framework) ist. Dadurch wurde z.B. die Herstellung von Automobilen möglich, da die komplizierte Arbeit auf Einfachheit heruntergebrochen wurde.

Doch das führt zu einigen Problemen, die wir heute haben. Autos sind kompliziert. Das Herunterbrechen auf Einfachheit ermöglicht winzige Schritte auf einzelne Hand-Arbeiter:innen zu übertragen. So funktioniert die Herstellung von Automobilen seither. Leider beachtet das nicht, dass sich die Probleme im 21. Jahrhundert massiv verändert haben.

In der IT ist es klar, dass Software-Entwickler:innen nicht nur Handarbeit (das Bedienen einer Tastatur) liefern, sondern einen Beitrag leisten müssen, damit Produkte und Projekte erfolgreich werden. Sie decken einen wesentlich breiteren Prozess als nur Coding ab.

Führung stellt in unserer “neuen Welt” vor neuen Herausforderungen. Die größte davon wird als “Fehlerkultur” bezeichnet, basierend auf Fords Arbeitsteilung, die den Prozess einmalig so definiert, dass alle ihn immer und immer wieder abspulen können. Idealerweise führt das zu fehlerfreiem Arbeiten. Abweichungen davon werden als Fehler gesehen.

Ich hasse das Wort “Fehlerkultur”.

Mit Arbeitsweisen wie Kanban und Kaizen kam (auch in der Automobil-Industrie) langsam das auf, was heute als “Fehlerkultur” bezeichnet wird: Das Zugeständnis, Fehler machen zu dürfen.

Jedoch bin ich der Meinung, dass das den Wert eines Fehlers verkennt. Dieser ist wertvoller, als keine Fehler zu machen. Ein prominentes Beispiel: Thomas Edison musste 10.000 Glühbirnen ausprobieren und scheitern bis die eintausenderste dann funktioniert hat. Er wird (unter anderem hier im Smithsonian Magazine) zitiert mit “I have not failed 10.000 times—I’ve successfully found 10.000 ways that will not work.”

10.000 Fehler haben zur Glühbirne geführt

Heute ist es eher üblich – leider – dass Manager:innen fragen “Warum hast Du es 10.000 Mal falsch gemacht?” … wenn ein:e moderne:r Edison nicht schon vorher gekündigt worden ist.

Glühbirne hängt von oben ins Bild, weißer Text: Edison musste erst 10.000 mal scheitern bis die 10.001. Glühbirne dann funktioniert hat., gelber Text: #Innovation

Das Crew Ressource Management aus der Fliegerei für die IT implementieren

Meine Definition von Fehler? Im Blogartikel Als ich mit dd meinen Arbeitsrechner überschrieben habe (und mein Chef mir nicht den Kopf abriss) eines Mitarbeiters sieht (liest) man, dass er nicht nur seinen Kopf behalten hat, sondern einen Schritt weiter die Frage gestellt bekam, wie das passieren konnte und was wir tun können, um es in Zukunft zu verhindern. Das Gleiche kam bei uns auch schon mal vor (um ein weiteres Beispiel zu nennen), als ein:e Mitarbeiter:in eine von unseren produktiv Datenbanken gelöscht hat.

In den meisten Unternehmen wäre das ein Grund zur Kündigung, bei uns ist es Anlass, genau hinzuschauen.

Hier ziehe ich eine Analogie, denn davon haben wir in großen Teilen unseren Umgang mit solchen Vorkommnissen adaptiert: Das CRM (Crew Ressource Management) in der Fliegerei, das ein eigenes Fachgebiet ist, das betrachtet, wie Pilot:innen miteinander agieren sollten und wie Unfälle verhindert werden können. Fliegen ist heute so sicher (statistisch das sicherste Verkehrsmittel, z.B. Statistical Summary of Commercial Jet Airplane Accidents, worldwide operations, 1959-2019), weil Fehler nicht zu personellen Konsequenzen geführt haben und führen, sondern auch die kleinsten “incidents” (Vorkommnisse, Unregelmäßigkeiten, nicht nur dramatische Flugzeugunfälle) akribisch genau analysiert werden.

Etwa weiß man inzwischen, dass in einer bestimmten Zeit die kognitive Leistung wahnsinnig sinkt – in der eigenen Zeitzone zwischen 1-2 Uhr nachts. In dieser Zeitspanne passieren wahrscheinlicher Unfälle bei komplizierteren Vorgängen wie der Landung. Ich habe letztens wieder gelesen, dass ein Flugzeug auf dem Taxiway statt auf der Runway gelandet ist (z.B. Boeing 737 landet auf Rollbahn statt Piste). Als Reaktion wurden die Pilot:innen auch bei anderen Flügen befragt, wie es ihnen ergangen ist. Und wenn es zweimal (auch nur fast) vorkam, ist der Prozess falsch. Empfehlung an Fluggesellschaften ist nun, Pilot:innen in der eigenen Zeitzone auf Stand-by zu setzen und eine dritte Person ins Cockpit zu holen. So geht in meinen Augen positive Lernkultur.

Ein Fehler ist die Möglichkeit zu lernen. Wenn es häufiger vorkommt, den Fehler als systemisch anzunehmen, statt die Einzelschuld vorauszusetzen.

Daher lieber formulieren “System kaputt” statt “Fehler” – dieses Wort verwende ich äußerst ungern.

Denn ein Fehler ist nicht nur eine Information oder Warnung, sondern ein zentrales Element von Innovation.

Ruder Team auf einem offenen Gewässer, 21 Personen im Kajak, 19 rudern, eine gibt den Takt an, eine steuert, roter Text: Komplexe Projekte leben von Menschen, schwarzer Text: Die sich einbringen. Sich entwickeln. Nicht nur funktionieren.

All in all: Mein Vorschlag für eine positive Erfahrungskultur

Produkte (nicht nur Software) werden heute immer komplexer, solchen kann man imho nur mit einem agilen Mindset begegnen. Fehler müssen gemacht werden und vor allem ihr Potenzial für die Innovation erkannt und angenommen werden. 10.000 Fehler haben zur Glühbirne geführt, verhindere nicht die nächste Glühbirne!

Behandle Menschen als Menschen und Du wirst von Ihnen bekommen, was Du brauchst. Und dabei: Nimm Unregelmäßigkeiten grundsätzlich als systemisch an, statt die Einzelschuld zu vermuten. Denn Fehler sind zentrales Element von Innovation, ermöglichen diese erst.

In diesem Sinne: Wenn Fehler passieren, schau genau hin, es ist nicht nur eine Warnung. Etabliere eine positive Erfahrungskultur, wachst gemeinsam!

Einladung: Online-Meetup am Fr. 30. Jul 15:00

Leidest Du unter dem Umgang mit “Fehlern” in deinem Unternehmen? Oder hast Du bei euch schon eine “Fehlerkultur” eingeführt und siehst keine Veränderung? Dann bist Du hier genau richtig!

Lasst uns gemeinsam darüber sprechen, warum eine Fehlerkultur scheitert, und wie es jetzt weitergehen kann. Lasst uns Erfahrungen austauschen! Welchen Umgang habt ihr mit Fehlern? Welchen Umgang mit der Lernkultur gemacht?

Online-Meetup: “Fehlerkultur” gescheitert: Und jetzt? Fr. 30. Juli 15:00 Uhr

Es ist lediglich eine kostenfreie Anmeldung auf eventbrite notwendig, damit wir dir den Link zum Meetup-Channel rechtzeitig zukommen lassen können.