Bologna-Prozess: Wenn schon, dann richtig!

Der Vorschlag des sächsischen Landtags [1], die Mitgliedschaft in der so genannten verfassten Studierendenschaft auf Freiwilligkeit herab zu stufen, sorgt derzeit für Aufregung in der universitätspolitischen Landschaft. Die Allgemeinheit würde sich zwar eher eine freiwillige Mitgliedschaft in der europäischen Union oder – aus bayerischer Sicht – im Bund wünschen. Bei der Frage “Wählen oder Steuern sparen?” scheint es aber in allen Fällen klar, wie sich die Mehrheit entscheidet. Da lässt sich der gemeine Student und Bürger gerne den Schneid bzw. das Wahlrecht abkaufen.

It was in this context that the schools of Bologna were founded and this is why Bologna University had the flavour it did – i.e., controlled by students. – Peter Watson. Ideas: A History of Thought and Invention, from Fire to Freud. Phönix, London, 2006.

Historisch führen Universitäten die Dom- und Klosterschulen fort; diese wiederum sicherten die (Aus-) Bildung der Jugend nach dem Zusammenbruch der (west-) römischen Staatsmacht. Sie waren im Wesentlichen Boot Camps für das Kirchenpersonal.

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Mit dem einsetzenden Niedergang der Staatskirche im späten 11. Jahrhundert trat das Eigeninteresse der Studierenden in den Vordergrund: Eine gute Ausbildung konnte das Auskommen als Rechtsanwalt oder Arzt begründen. Entsprechend vehement verteidigten die Studierenden in Bologna ihre Kontrolle über den Lehrkörper: Wer zahlt schafft an! Hier liegt einer der Ursprünge unserer heutigen Universitäten. (Der andere liegt in Paris, wo sich Schüler und Lehrer zu einer Gemeinschaft, der so genannten Universitas, zusammenrotteten.)

Non vitae, sed scholae discimus! — Klageruf von Seneca (1. Jhdt.)

Seitdem jedoch hat sich das System zur Flat-Rate-Uni gewandelt: Staatliches Push statt akademisches Pull! — Gelehrt wird, was akkreditierbar ist. Gelernt wird, was Credits bringt. Geprüft wird mit dem Maßstab der eigenen Lehrer. Wehe, wenn der verbogen ist!

Wer hat denn noch die Zeit, über die Inhalte nachzudenken, Querbezüge aufzudecken und eigene Gedanken zu entwickeln? Wo ist Platz für Spannendes und Versponnenes? Wie oft muss sich die Lehre durch intellektuelle Brillanz beweisen? — Im Vergleich zum historischen Ursprung klingt da die Bezeichnung Bologna-Prozess ähnlich schräg wie Trusted Computing Platform: Vertrau mir, ich weiß was gut für Dich ist! Dabei passen päpstlich akkreditierte Curricula eher zu Domschulen, als zu Bologna.

Wer den Sumpf trocken legen will, muss Standards für die Wasserqualität einführen. — Sprichwort

Weder in der IT noch in der (Hochschul-) Politik ist es empfehlenswert, blind auf Standards zu vertrauen. Der zusätzliche Aufwand, die Dinge zu durchdringen, lohnt sich. Wer Standardisierungsgremien kennt, weiß, dass dort technische Exzellenz selten oben auf der Agenda steht. Wer kochen kann, braucht keine Systemgastronomie. (Er darf natürlich trotzdem dort essen.) Analogkäse ist kein Parmesan; und dicke Modulkataloge ergeben nicht automatisch ein gutes Systemdesign.

Wenn also Bologna-Prozess, dann bitte richtig: Tragfähige Grundlagen, zukunftsfähige Inhalte, didaktische Exzellenz in der Lehre und Eigenverantwortung der Studierenden. Wer weiß, warum man “Diskrete Strukturen” hören sollte, ist motiviert; und wer die Konzepte von Programmiersprachen kennt, spricht C/C++, Lisp und Perl genauso flüssig wie X10 und F#.

Thomas Fuhrmann ist Chief Technology Officer bei den IT:Agenten und wundert sich, dass sich Software-Entwickler/innen vor allem Grundlagenthemen für Fortbildungen wünschen. Offenbar findet sich technische Schuld — das Thema über das er hier eigentlich bloggen sollte — nicht nur in großen Code-Basen.